-Spielbericht-
ENERGIE-GESCHICHTSKALENDER - Heute vor 20 Jahren: der erste Bundesliga-Auswärtssieg
Manche Sachen dauern eben etwas länger. Auch bei unserem Lieblingsverein in seiner ersten Bundesligasaison. Bis zum 23. Spieltag war Energie kein einziger Auswärts-Dreier geglückt - im Gegenteil: ganze zwei Pünktchen sprangen aus den bisherigen zehn Gastspielen heraus. Nur auf die Heimstärke vertrauen, das konnte eigentlich nicht klappen. Und dann ging es auch noch Freitag Abend zu Titelanwärter Bayer Leverkusen.
Es war wieder eines dieser Spiele, wo man einfach dabei gewesen sein muss. Natürlich nicht nur als Ground-Sammler und Stadion-Tourist, sondern vor allem als Fußballfan. Denn ungleicher konnten die Vorzeichen gar nicht sein. Der Vizemeister des Vorjahres hatte sich auch in diesem Jahr wieder im Spitzen-Trio der Liga etabliert und erwartete mit Energie den Tabellen-16. Das Hinrundenspiel verlor Energie unglücklich mit 1:2, da Thomas Brdaric kurz vorm Schlusspfiff den Cottbuser Punktgewinn zunichte machte. 17 Spiele später sollte in der BayArena eigentlich nix zu holen sein. Dachten wohl auch die kühnsten Optimisten.
Unter Flutlicht betraten die Mannschaften das Feld. Bayer trat mit der absoluten Star-Besetzung an: angeführt von Michael Ballack ging die Werkself mit Carsten Ramelow, Lucio, Diego Placente, Robert Kovac, Bernd Schneider, Zé Roberto und im Angriff mit Dimitar Berbatov und Oliver Neuville ins Rennen. Auch 20 Jahre später sind das noch absolut klangvolle Namen. Energie versuchte dem mit Rudi Vata, Christian Beeck, Faruk Hujdurovic und Vilmos Sebök aus einer sicheren Defensive heraus zu begegnen. Auch die Kreativabteilung um Laurentiu Reghecampf, Vasile Miriuta, Andrzej Kobylanski, Toni Micevski und in vorderster Front Antun Labak sollten für Nadelstiche sorgen.
Bayer tat sich an diesem Tage ungewohnt schwer. Weil Energie es ihnen auch richtig schwer machte. Cottbus stand wie erwartet tief in der eigenen Hälfte, versuchte, aus einer massierten Deckung über Konter zum Erfolg zu kommen. Leverkusen fand gegen diese Defensiv-Taktik in der ersten Halbzeit kaum Mittel, weil dem Spiel des deutschen Vize-Meisters nicht nur Aggressivität und Kampfgeist fehlte, sondern auch Spielwitz und Überraschungsmomente. Nach 33 Minuten dann die kalte Dusche für Leverkusen: Miriuta zirkelte einen Freistoß unnachahmlich über die Mauer, genau ins linke obere Toreck zur Führung für Energie Cottbus. Der Jubel im Gästeblock war riesig, der Schock bei den meisten der 22.000 Zuschauer spürbar. Und das auch noch im Rheinland zur Karnevalszeit.
Bayer antwortete mit verstärkten Angriffsbemühungen, Cottbus, das in der Abwehr bis auf wenige Ausnahmen sicher stand, hatte aber das Glück des Tüchtigen: In der 36. Minute köpfte Beeck einen Ramelow-Schuss von der Torlinie und nur zwei Minuten später prallte ein Ballack-Freistoß vom Innenpfosten ins Feld zurück. Kurz vor dem Pausenpfiff schlug Cottbus dann ein zweites Mal eiskalt zu: Labak köpfte in der 42. Minute eine Miriuta-Flanke von der Strafraumgrenze ins rechte untere Toreck. 0:2! Damit hatte nun wirklich gar keiner gerechnet - und dennoch war die Führung nicht unverdient.
Bayer blies in der zweiten Hälfte nun verstärkt zur Offensive, bereits nach einer Minute musste Piplica Kopf und Kragen riskieren, um gegen Neuville zu klären. Leverkusen spielte aber insgesamt zu oft durch die Mitte, so dass die Abwehr von Energie meist Herr der Lage war. In der 62. Minute dann der überraschend frühe K.O. für den Titelaspiranten: Mit einem klasse Pass überlistete Micevski die Abseitsfalle von Bayer, Miriuta schob den Ball überlegt an Zuberbühler vorbei zum 0:3 ins Netz. Leverkusen probierte danach weiterhin alles um das Blatt noch zu drehen, doch mehr als der Anschlußtreffer durch Zé Roberto in der 74. Minute sprang für die Rheinländer nicht mehr heraus.
Am Ende war der erste Auswärtssieg der ersten Bundesligaspielzeit eingefahren. Ein verdienter Sieg für Cottbus, das aus einer starken Defensive heraus immer wieder brandgefährliche Konter initiiert hatte und keineswegs nur auf Spielzerstörung aus war. Unter all den Auswärtssiegen die noch im Laufe der vielen Bundesligajahre passieren sollten, war der erste einer der bleibendsten und schönsten Erinnerungen. Der FCE kletterte dank des Dreiers sogar über den Strich und tauschte mit Unterhaching die Plätze. Insgesamt sollte Energie in dieser Spielzeit ja soga nur auf zwei ganze Siege in der Fremde kommen - der zweite am letzten Spieltag bei 1860 München besiegelte dann sogar den sensationellen Klassenerhalt.
(Text: Februar 2021)
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