Spielbericht
Wir schreiben den 22. März 1970. Ein wolkenbehangener Sonntag im März, ein paar Tropfen prasseln auf die Scheiben des Mannschaftsbusses. Der Energie-Tross um Kapitän Manfred Kupferschmied macht sich auf den Weg nach Berlin. Der Gegner heißt Union Berlin, gilt als Favorit auf den Staffel-Sieg und möchte sich auch gegen den Verfolger aus Cottbus keine Blöße geben. Die Statistik spricht ohnehin für die "Eisernen" - bisher konnte Cottbus keines der 4 Gastspiele in Berlin gewinnen, geschweige denn überhaupt einen Punkt mit nach Hause nehmen. Trainer Erich Lüddeke weiß, dass gegen die starken Unioner Offensivkräfte um Meinhard Uentz, Reinhard Gärtner und Ex-Nationalspieler Günter "Jimmy" Hoge nur eine starke Defensivleistung hilft, um etwas Zählbares aus der Partie mitzunehmen. Libero Klaus Stabach, Manne Duchrow, Hajo Prinz und Kalle Becker sollen diese Aufgabe übernehmen und die Offensivbemühungen des Tabellenführers eindämmen.
Die Fahrt nähert sich dem Ende, der Weg führt allerdings diesmal nicht ins Stadion an der Alten Försterei. In der wird nämlich gerade ein neuer Rasen verlegt, nachdem das Stadion zuvor bereits neben einer neuen Stehplatztribüne auf der Gegengeraden auch bessere Sitzgelegenheiten auf der Haupttribüne bekam. Union weicht deshalb auf den KWO-Sportplatz aus, der sonst Heimat der BSG Kabelwerk Oberspree Berlin ist. 5.000 Zuschauer umfasst das kleine Rund - 4.000 Fußballbegeisterte finden an jenem Sonntag den Weg zum Spiel. Unter den Sprechchören der Berliner, die das berühmte "Eisern Union!" immer wieder zum Besten geben, betreten die Mannschaften den Platz. Als der Anpfiff ertönt, sind alle Energie-Spieler sofort bei der Sache, stören früh den Gegner, lassen den spielstarken Berlinern keinen Raum zur Entfaltung. Stattdessen setzen die Energie-Kicker selbst immer wieder Nadelstiche und wagen Vorstöße durch Konter.
Nach einer Viertelstunde nimmt Kapitän Kupferschmied das Glück in die Hand, zieht einfach mal ab und überwindet den geschlagenen Union-Keeper Weiß. Doch auf der Linie steht noch Verteidiger Betke, der Kupferschmieds Schuss mit beiden Händen reflexartig abwehrt. Der Unparteiische aus Rostock pfeift und zeigt auf den Punkt - Elfmeter für Energie. Entsetzen bei Union. Da es für solch Vergehen damals noch keinen Platzverweis gab, konnte der Berliner immerhin weiterspielen. Energie-Torjäger Peter Effenberger schnappt sich in der 17. Minute den Ball, tritt an und versenkt ihn mit Hilfe des Innenpfostens und reichlich Zielgenauigkeit im Tor. Effenbergers 17. Saisontor - 1:0 für Energie. Der erste Sieg in Berlin in greifbarer Nähe. Aber die Berliner spielen weiter, sind tonangebend und kommen immer wieder zu Möglichkeiten. Doch die Cottbuser Abwehr hält stand, bringt den Gegner schier zur Verzweiflung und bietet einen starken Kampf. Sogar das 2:0 liegt in der Luft, als Union immer mehr aufmacht und zum Spielende hin in Gäste-Konter läuft. Am Ende war es dann vollbracht. Energie siegt beim Spitzenreiter mit 1:0 und sichert sich Punkte im Kampf um die vorderen Plätze. Der Jubel nach dem Abpfiff und die Erleichterung den Vorsprung über die Zeit gerettet zu haben sind groß.
Das Happy End hatten im Nachhinein aber doch die Unioner für sich. Sie behielten trotz des Rückschlages ihre Spitzenposition in der Liga und stiegen am Saisonende in die Oberliga auf. Energie wurde Vierter, Peter Effenberger immerhin Torschützenkönig mit 21 Treffern. Doch der Bann war nun gebrochen. In den Folgejahren sollte Energie noch weitere große Siege bei Union feiern - wie 1975 beim 5:1 in der Aufstiegsrunde zur Oberliga.
(Text: März 2020)
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