-Spielbericht-
ENERGIE-GESCHICHTSKALENDER - Heute vor 20 Jahren: Der Sensationssieg über Bayern München
Es gibt Tage die vergisst man als Fan einfach nie. Der erste Stadionbesuch mit Papa, der erste Sieg, die ersten Fangesänge. Später der erste Aufstieg mit dem Verein, Siegesserien, die ersten Krisen, Durststrecken oder gar der erste Abstieg. Was man aber auch nicht aus dem Kopf bekommt sind die Momente, in denen man besonders viel Stolz für seinen Lieblingsclub empfunden hat. Nach Derbysiegen oder großen Spielen gegen große Gegner. Wenn du als Fan eines Underdogs nach tollem Kampf deiner Mannschaft das Stadion verlässt und Respektsbekundungen von allen Seiten bekommst. Diesen Stolz durfte man als Energiefan vor allem Anfang der 2000er Jahre mehr als nur einmal erfahren. Insbesondere nach dem ohnehin schon sensationellen Bundesliga-Aufstieg.
Es kam wie es kommen musste. Als abgeschlagenes Tabellenschlusslicht gab es mit Blick auf den Spielplan ohnehin nur noch schwere Spiele. Nach drei sieglosen Partien gegen Freiburg (1:4), Leverkusen (1:2) und einem Punkt auf dem Betzenberg (1:1) wartete die vermeintlich nächste Schlappe auf den FCE. Das erste Pflichtspiel gegen den großen FC Bayern stand an. Am 8. Spieltag, Mitten im Oktober. Erwartungen gab es keine - vielleicht ein paar leise Hoffnungen, dass die Münchener mal einen schlechten Tag erwischen und uns Kleine heute mal nicht gar so schlimm demütigen. Über 20.000 Fans hegten diese Wünsche ebenso und strömten aus allen Ecken der Stadt Richtung Stadion der Freundschaft.
Im Vorfeld der Partie gab es Stunk. Nicht beim FCE - der hatte bei Saisonbeginn bereits mit Rückschlägen gerechnet und sich weiter darauf besonnen, mit den geringen finanziellen Mitteln all das mitzunehmen was geht. Nein, beim FC Bayern kriselte es. Nach einem 0:1 gegen Hansa Rostock und mannschaftsinternen Querelen stellte sich nun auch der nächste Ostverein in den Weg. Dazu der Nebenkriegsschauplatz mit der Daum-Affäre, den auch die Cottbuser Zuschauer aufgriffen - Uli Hoeneß wurde von den Heimfans mit dem Spruchband "Uli, dein schlimmster Albtraum ist nicht Daum!" begrüßt. Zwar thronten die Bayern vor der Partie noch an der Spitze, souverän ging aber irgendwie anders. Eigentlich kam da der Abstiegskandidat Nummer 1 gerade recht.
Besonders die Defensive der Cottbuser stand an jenem Tag im Mittelpunkt. Vilmos Sebök als Libero, Janos Mátyus und Faruk Hujdurovic innen - gegenüber den Vorwochen kehrte auch Christian Beeck wieder in die Mannschaft zurück. Mit Jörg Scherbe, Moussa Latoundji, Bruno Akrapovic und Toni Micevski wurde das Mittelfeld komplettiert, welches sich nicht nur an der Offensive zu beteiligen hatte, sondern von Ede Geyer auch mit reichlich Abwehrarbeit belegt wurde. Vorne suchten Sebastian Helbig und Antun Labak nach seltenen Lücken in der Bayern-Deckung. Der Rekordmeister bot mit u.a. Oliver Kahn, Willy Sagnol, Jens Jeremies, Mehmet Scholl und den Offensivgranaten Carsten Jancker und Giovane Elber wieder Mal große Fußballkunst auf.
Sonnabend 15:30 - der Anstoßpfiff durch Dr. Markus Merk ertönte. Die Bayern versuchten von Beginn an auf eigenen Ballbesitz zu gehen und dem unliebsamen und schwer einzuschätzenden Gegner in Schach zu halten. Erste Annäherungen Richtung Tor von Tomislav Piplica blieben aber erfolglos. Energie spielte hochkonzentriert, stand hinten sicher und wankte auch nicht. Der ein oder andere abgefangene Ball oder Münchener Pässe ins Leere wurden von den Energiefans frenetisch gefeiert. Zehn Minuten waren überstanden, das Spiel wurde nun immer intensiver. Plötzlich ging es auch mal in die andere Richtung - Helbig vergab eine Großchance nach elf Minuten. Auf der anderen Seite tauchte Torsten Fink vor Piplica auf und scheiterte ebenfalls.
Eine Viertelstunde war vorbei, dann geschah das Unglaubliche. Nach einem Ballverlust von Andersson konterte Energie geschickt. Helbig spielte den Ball auf Labak, der frei vor Kahn zum Schuss kam. Den abgewehrten Ball legte Akrapovic zurück auf den aufgerückten Libero Sebök, der keine Mühe hatte, das Leder aus kürzester Entfernung über die Linie zu drücken. 1:0 für Energie! Das Stadion ein Tollhaus, die Menschen fielen über- und aufeinander und herzten jeden der sich ihnen in den Weg stellte. Energie in Führung gegen Bayern - sowas kannst du nicht mal mit dem Fußballgott erklären.
Cottbus hatte auch im weiteren Verlauf die besseren Möglichkeiten, doch der beste Bayern-Akteur, Torwart Oliver Kahn, hielt seinen Kasten sauber. Ottmar Hitzfeld reagierte in der Halbzeit und brachte mit Hasan Salihamidzic und Paulo Sergio zwei offensive Kräfte. Bayern wirkte nun entschlossener in Richtung Energie-Tor, doch Cottbus blieb mit seinen Kontern stets gefährlich. Die Münchener rannten sich immer wieder in der dicht gestaffelten Abwehr des Aufsteigers fest und vergaben ihre Möglichkeiten den Ball im Tor unterzubringen. Bis zum Schluss waren sich die Energie-Spieler in jeden Zweikampf und rangen den Rekordmeister auch mental nieder. Am Ende war es tatsächlich vollbracht: der zweite Saisonsieg der Bundesligageschichte - ausgerechnet gegen die großen Bayern konnte einem niemand mehr nehmen. Und vor allem der Stolz war den Menschen im weiten Rund wieder gegeben worden. Der Stolz auf die Leistung dieser aufopferungsvoll kämpfenden Mannschaft, aber auch der ganz besondere Stolz, Energiefan zu sein.
Der arg enttäuschte Ottmar Hitzfeld gab bedient zu Protokoll: "Wir waren nicht in der Lage den Energie-Abwehr-Beton zu brechen". Der rotgesperrte Vasile Miriuta ergänzte freudig: "Wir haben die Taktik voll umgesetzt und damit den Bayern die Butter vom Brot genommen". Und auch Christian Beeck schätzte es abschließend richtig ein: "Wir haben Spieler aus tausend Nationen, aber auf dem Platz waren wir eine Einheit!"
Diese Einheit schaffte es in jener Saison den Bayern-Sieg sogar noch zu veredeln - mit dem letztendlichen Klassenerhalt am 34. Spieltag bei den anderen Münchenern von 1860. Auch so ein Spiel, das man als stolzer Fan des FC Energie niemals vergessen wird. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
(Text: Oktober 2020)
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